WORTFETZEN Kurzgeschichte: Der Mann, der kalt...






DAYHOPPER WORTFETZEN
in dieser Rubrik geht es um aufgeschnappte Wortfetzen aus Gesprächen Fremder. Mit nur wenigen Worten erschöpft unsere Fantasie eine eigene Welt - viel Spaß bei den WORTFETZEN Kurzgeschichten.

WORTFETZEN:
...habe Thorsten eine Ewigkeit nicht gesehen. Das letzte Mal hat er kalt...




...behaupted, dass es mir nur ums Geld ginge. Die braun gelockte junge Frau in weißen Caprihosen und Daunenweste blickt ihre etwas ältere blonde Belgleiterin mit blondgrauem Bob und markanter dunkelblauer Brille kurz innehaltend an. Ist es Ihre Mutter? Nein, dafür sind sie sich zu verschieden.

Viel mehr ihre Stiefmutter Vera, die Lebensgefährtin ihres Vaters. Nachdem Sarahs Mutter viel zu früh wegen Krebs verstorben war, hatte ihr Vater schnell wieder jemanden gesucht, der sein Leben ausfüllt. Die Kinder waren ja schon lange erwachsen und selbstständig und er war nicht die Art von Mann, die sich vor dem Leben verschotten und nur in der Vergangenheit lebt. Nein, er hatte sein Frau wirklich geliebt, hatte mit ihr alle guten und schlechten Zeiten durchgestanden, war ein Romantiker, wenn es um ihre Liebe ging aber er liebte auch sein Leben und er liebte die Geselligkeit.

Eigentlich im Gegenteil zu seiner Frau. Sie war das Gehirn der Familie, brauchte nie viele Worte und alles passierte. Irgendwie hatte man immer das Gefühl, dass sie einen sechsten Sinn für alles hat und durch ihr zutun immer alles gut verläuft. Genau wie ihr Sohn, ein Denker, ein Lenker aber wie seine Mutter kein Fan vieler Worte. Nach ihrem Tod war er es, der am meisten litt, die beiden Kopfmenschen unter sich brauchten fast gar keine Worte um sich zu verstehen.

Ganz anders Sarah, sie ist wie ihr Vater, dem Leben und den Menschen zugekehrt. Nach dem Tod ihre Mutter hat sie die dicksten Tränen geweint, die traurigsten Lieder gesungen und die süssesten Kuchen gebacken - als könnte Zucker die Trauer lindern. Sie hat sich einfach aus der Trauer rausgelebt. Als ihr Vater Vera kennenlernt hat, war sie Feuer und Flamme. Sie konnte fühlen, wie es ihrem Vater geht, er wollte am Leben teilnehmen, glücklich sein, Zweisamkeit genießen. Nicht eine Sekunde hat Sarah gezögert, Vera und sie wurden schnell zu Freundinnen.

Sarah hat in Vera nie einen Muttersatz gesehen, eher eine Vertraute, eine Art Familie 2.0. Wäre da nicht der Verlag. Sarahs Eltern haben den Verlag zusammen gegründet. Ihr Vater ist das Gesicht der Firma, der strahlende Lebemann doch jedermann weiß, Sarahs Mutter war das Uhrwerk, nach dem die Maschinerie tickte, ihr Lebenswerk, ihre Hinterlassenschaft.

Nach dem Tod der Mutter hatten Sarah und ihr Vater keine Beziehung mehr zu dem Verlag. Wie ein altes Kleidungsstück ihrer Mutter waren sie bereit loszulassen und die Firma zu verkaufen. Thorsten hat darauf reagiert, als ob man ihrer noch lebenden Mutter das Herz herausreißen wollte. In jedem Büro, auf jedem Blatt Kopierpapier, ja sogar in den Jalousien hat er das Werk seiner Mutter gesehen - ein Loslassen kam für ihn nicht in Frage. In seiner Vorstellung würde eine Welt und sein eigenes Denken zu Ende gehen.

Zwei gegen einen war die Entscheidung -  für Vater und Tochter war der Verkauf des Verlages der letzte Schritt der Trauerbewältigung. Für Thorsten war es eine Abkehr von der Mutter, die ihm soviel bedeutete. Wie konnte er das nur verzeihen, wie konnter er das nur verstehen.

Kommentare